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RETROSPEKTIVE!

Wuk Petrovic • 21. Mai 2020
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Nachher weiß man's immer besser! In der ‚Retro‘ analysieren Agile Teams den letzten Sprint, lichten schwere Anker oder flüchten vor dem bösen Wolf.

Dinge abzuschließen ist essenzieller Teil der Agilen Methodik. Klarer Weise kommt Gold heraus – aber auch so manches Stück Kohle. Wie man mit beidem so umgeht, dass das Gold mehr wird und die Kohle weniger, das ist…

… der Weg zum High-Potential-Team!

Wer immer tut, was er schon kann, bleibt immer das, was er schon ist.
 
Henry Ford

Was ist eine Retro(spektive)?

Die Retrospektive ist eine Möglichkeit, in der rückblickend Agile Teams, die Arbeit, die Prozesse, die Umgebung und die Einstellung reflektiert werden. Veränderungen aus den Retrospektiven verlaufen in kontinuierlichen Schleifen. Gut abgehaltene und durchgeführte Retrospektiven bringen das Team voran, schlechte jedoch bewirken genau das Gegenteil.

Das einleitende Zitat beschreibt sehr genau, warum bei Agilen Teams eine Retrospektive notwendig ist – wir wollen eben nicht bleiben, was wir schon sind, sondern uns kontinuierlich verbessern. 
 

Profitipp!

https://retromat.org ist eine herausragende Quelle, mit der du dir deine individuelle Retro „zusammenklicken“ kannst. Ich verwende den Retromat für einzelne Phasen meiner Retros, um neue Ideen und Inspirationen zu gewinnen.  

Challenge Deine Retro-Vorbereitungen mit Kollegen: Gerade der Austausch mit anderen kann dabei helfen eine Retro noch besser aufzubereiten! 

Und so geht’s!

Die Vorbereitung nimmt in der Regel genau so viel Zeit in Anspruch wie die eigentliche Retrospektive selbst. Daher sollte folgendes in der Vorbereitung beachtet werden:

  • Nimm dir ausreichend Zeit für die Vorbereitung
  • Überlege die Zielsetzung – was möchtest du erreichen? Gibt’s spezielle Themen? Was könnte dem Team in ihrer Entwicklung weiterhelfen?
  • Wer ist die Zielgruppe – das Team? Das Team + Stakeholder? 
  • Wie bzw. wo hältst du die Retro ab – Online? Offline? Mit/ohne Tools? Ist die Organisation von Raum bis Einladungen erledigt?
  • Was sind passende Methoden, um das Ziel der Retro zu erreichen?
  • Wer hält die Retro? Du selbst? Diese Frage stellt sich besonders bei erfahrenen, selbstorganisierten und eigenverantwortlichen Teams.

Und zwar emotional, zwischenmenschlich und vor allem sachlich. Eröffne die Retro, erkläre kurz die Ziele, die wichtigsten Grundlagen und Spielregeln .

Die erste Regel ist: Wir sind alle Menschen! Wir sind unterschiedlich, haben Bedürfnisse, Erwartungen, Erfahrungen, Perspektiven, Stärken und Schwächen. Wir sind nicht unfehlbar!  

  • Jede Stimme zählt 
  • Jede/r hat eine Stimme (keine Hierarchie) 
  • Jede/r kann ausreden, niemand unterbricht 
  • Wenn wir über Impediments reden, besprechen wir diese lösungsorientiert (wie kann man x verbessern). Wir betreiben kein Fingerpointing 
  • Stelle den „geschützten“ Raum der Retrospektive von Anfang an klar!   

Eine Retrospektive ist in der Regel nur dann effektiv, wenn die Teammitglieder auf den geschützten Raum vertrauen können. Retro-Dokumentationen bleibt intern und die Verteidigung erfolgt auch gegenüber Stakeholdern. Ich verwende dafür die Vegas-Regel: 

„What happens in Vegas, stays in Vegas“

Hinweis: Es gibt natürlich Ausnahme wie z.B. teamübergreifende Herausforderungen oder Prozessoptimierungen, die Transparent in einem Backlog festgehalten werden. Die Las Vegas Regel sollte daher auch besprochen und als Team definiert werden! 

Profitipp!

Für mich funktionieren die Regeln auf einem A2-Plakat wunderbar. Natürlich kann man auch ganz einfach eine Confluence/Wiki/Website/Cloudservice anlegen. Um die Akzeptanz der Regeln zu erhöhen, sollte man die Regeln gemeinsam im Team besprechen UND individuelle Regeln als Team festhalten. 

Und damit kannst du loslegen!

Wenn ich die Eröffnung abgeschlossen habe und wir zum Sammeln der Themen übergehen, ist der Ablauf der ersten Phase bei den meisten Retro-Formaten recht einfach: 

  • Jedes Team-Mitglied hat 10-15 Minuten Zeit sich die jeweilige Fragestellung zu überlegen und für sich die wichtigsten Punkte auf einem Kärtchen festzuhalten.  
  • Dann schiebt jeder, nacheinander, seine eigenen Kärtchen in die passenden Felder der Retro und sagt 1-2 Sätze zu seinem Kärtchen. 
  • Haben alle die Kärtchen verteilt, werden thematisch passende Kärtchen gruppiert 
  • Im nächsten Schritt erfolgt ein kurzes (Dot-)Voting, um die Wertigkeit der Themen zu eruieren -> Tipp: Besser 2-3 wichtige Themen richtig aufarbeiten als alle teilweise oder unzureichend, hier gilt: weniger ist mehr! 

Die Ergebnisse und Maßnahmen werden dann transparent abgeleitet (siehe weiter unten: Maßnahmen ableiten)  

Retro-Formate – der Weg zum Ziel 

Bei den folgenden Retro-Formaten handelt es sich um Anregungen aus meiner Praxis. Diese Formate können mit weiteren Methodenbausteinen z.B. Team-Culture kombiniert bzw. an die eigenen Anforderung angepasst werden. 

1. Team Dimensions

Bei Team Dimensions handelt es sich um ein sehr einfaches und effektives Retroformat. 

Fragestellung: 

Was ist Dir im letzten Sprint besonders gut gelungen? – oben links 
Was ist dem Team im letzten Sprint besonders gut gelungen? – oben rechts 
Was ist Dir im letzten Sprint nicht so gut gelungen? – unten links 
Was ist dem Team im letzten Sprint nicht so gelungen? – unten rechts 

Diese Fragen können natürlich individuell angepasst werden! 

Ziele

  • Teamstimmung „einfangen“ 

  • Team sensibilisieren – die Teammitglieder reflektieren über die eigene und die Teamleistung von eigenem Standpunkt aus, um das gegenseitige Verständnis zu fördern 

  • Letzten Sprint aus der eigenen und Teamsicht reflektieren 

Dauer

1-1,5 Stunden 

Anwendung 

Diese Retro eignet sich vor allem für neue Teams, um mögliche Spannungen bzw. falsche Erwartungshaltungen frühzeitig aufzuzeigen. In letzten Jahren habe ich die Erfahrung gemacht, dass man diese Retro auch bei eingespielten Teams gut nutzen kann – vor allem dann, wenn es eine Tendenz zum Einzelkämpfertum gibt. Ein Aha-Moment zum richtigen Zeitpunkt sorgt oft für den Spin in die richtige Richtung.   

2. Der böse Wolf

Quality First

Diese Retro ist ein sehr zugängliches Format zur Überprüfung der Leistung. Entwickelt haben wir es in der twinformatics; und wer das Wortspiel findet, darf sich bei mir melden und bekommt eine Packung Kekse. Der Aufbau der Retro rückt das Thema Qualität stärker in den Fokus und sollte daher zumindest 1x im Quartal durchgeführt werden. 

Fragestellung

Bitte überlegt euch, was im Sprint besonders gut gelungen bzw. sehr stabil war (Steinhaus), welche Dinge nicht ganz so gut waren und haben Potential für Verbesserungen haben (Holzhaus) und welche Dinge eindeutig schiefgegangen sind und dringend verbessert werden müssen (Strohhütte).  

Ziele

  • Qualitätsbewusstsein (Arbeitsleistung, Prozesse…) schärfen 
  • Reflektion der eigenen und der Teamleistung 

Dauer

1,5 – 2 Stunden 

Anmerkung

Der böse Wolf ist für Teams, bei denen eine höhere Qualitätsorientierung notwendig ist. Gerade die Mischung aus gezielter Fragestellung und den verschiedenen Häusern (Holz, Stein, Stroh) unterstützt das. Durch Änderung der Fragestellung, kann man diese Retro noch stärker auf die eigenen Teamanforderungen anpassen.  

3. Segelboot

Nachdem wir uns bereits mit der inneren Struktur der Teams beschäftigt haben (Team Dimensionen) und das Thema Qualität (der böse Wolf) näher betrachtet haben, sollten wir an der Wahrnehmung des Umfelds arbeiten. Das Segelboot verfügt über einige Elemente, die dich dabei unterstützen.  

Fragestellung

Segel: Welche Dinge haben uns vorangebracht bzw. bringen uns vorwärts?  
Anker: Welche Dinge haben uns zurückgehalten bzw. blockieren uns noch jetzt?  
Eisberg: Welche Dinge könnten zum Risiko werden? 
Leuchtturm: Welche Dinge könnten für uns zur Chance werden bzw. uns unterstützen? 

Ziele

  • Den Teamfokus erweitern (Stichwort: Tunnelblick) 
  • Das Team auf das eigene Umfeld sensibilisieren  

Dauer

1,5 – 2,5 Stunden 

Anmerkung

Das Segelboot ist eine sehr effektive Retrospektive, wenn du dein Team auf das eigene Umfeld (innen/außen) sensibilisieren möchtest und gehört deshalb auch zu meinen persönlichen Favoriten. Die Elemente sind leicht verständlich und die Fragestellung lässt sich einfach an eigenen Anforderungen anpassen. Eine Frage könnte wie folgt lauten: 

Segelboot: Welche Dinge halten uns über Wasser bzw. stärken uns?  

Maßnahmen ableiten 

Am Ende einer Retro werden Maßnahmen zur Verbesserung und/oder Erhalt von Erkenntnissen gemeinsam festgehalten werden.  

Tipp: Die Maßnahmen sollten durch das Team gemeinsam aufbereitet und eingetragen werden, natürlich darf der/die Facilitator unterstützen. 

  • Die Ergebnisse und Maßnahmen einer Retrospektive werden am Ende festgehalten: Ein Board nach der Struktur was/wie/wer/wann eignet sich in der Regel sehr gut, um die Sinnhaftigkeit, weshalb wir neue Maßnahmen setzen, festzuhalten. 
  • Aufgrund meiner bisherigen Erfahrung empfehle ich hierzu folgendes Format mit den Erweiterungen: DONE/OPEN/BLOCKED, da wir so als Team vereinbarte bisherige Maßnahmen kontinuierlich nachverfolgen können! 

Weitere wichtige Tipps

  • Weniger ist mehr: Besser wenige, vernünftige Maßnahmen als viele, die sowieso nicht nachverfolgt werden! 
  • Maßnahmen sollten mit SMART gegengeprüft werden -> sind es echte Maßnahmen, stimmt die Formulierung?  
  • Grundsätzlich sollte jede Retrospektive dokumentiert und Maßnahmen abgeleitet werden. Die Aufmerksamkeit liegt jedoch auf dem Team, nicht auf der Doku! 
  • Zeige den Stand der Dinge: Was haben wir bereits erledigt? Was ist noch offen? Was ist geblockt? Überblick und Fortschritte schaffen Vertrauen! 

Fazit 

Die Retrospektive ist einer der wichtigsten Hebel für eine transparente, effektive Teamentwicklung, sollte daher gut vorbereitet werden und einen fixen Platz im Teamkalender haben – und das nicht nur bei Agilen Teams!  

Autor: Wuk Petrovic

Offen gesagt bin ich zwar ein Kind der 80er (für die Jüngeren unter uns, die Zeit von C-64, x386er CPUs, Knight Rider…) und habe immer schon IT im Blut gehabt - aber leider kein Talent zum Entwickler. Was wahrscheinlich auch ein Grund war, weshalb ich in das Projektmanagement gegangen bin und meine Berufung in der Agilen Welt gefunden habe. In Summe kann ich auf über 20 Jahre, davon 9 Jahre im Projektumfeld (Rollouts, klassische Projekte und Agile Projekte) Berufserfahrung zurückschauen.  

Ich bin begeistert von Star Trek, Star Wars, HiFi, natürlich auch Agilität. Aber im Privatleben versuche ich einfach mit Freunden, Familie oder auch mal nur bei guter Musik abzuschalten. 

 

Über das Agile Competence Center

Das Agile Competence Center (ACC) ist bestrebt, Menschen in der twinformatics und den Versicherungshäuser zu coachen und anzuleiten, indem es deren Wissen, Fähigkeiten und Kompetenzen erweitert, damit agile Wertströme rund um den gemeinsamen Geschäftserfolg entstehen können. 

Unser Ziel ist es, MitarbeiterInnen und Stakeholder in unseren Organisationen bei der kontinuierlichen Weiterentwicklung zu coachen und mit unserem Know How nach Kräften unterstützen. 

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